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Noah Sow: Deutschland Schwarz Weiß. Der alltägliche Rassismus Buchcover von Noah Sow: Deutschland Schwarz Weiß

Aktualisierte Ausgabe von 2018 (ursprünglich von 2008). Paperback, 344 Seiten. Verlag: Books on Demand

ISBN-13: 9783746006819

https://www.noahsow.de/deutschlandschwarzweiss/

Wir haben in Deutschland nicht nur ein Rassismusproblem, wir haben leider auch das Problem, dass weiße Deutsche das Problem gern leugnen. Es geht nicht nur um einige Einzelpersonen mit extrem menschenverachtenden Ansichten, sondern um weitverbreitete, alltägliche Meinungen und Verhaltensweisen, vor allem aber um ein System mit institutioneller Macht, an dem wir alle teilhaben, ob wir wollen oder nicht. Das ist *unser* Problem als weiße Bürger_innen, und wir sind in der Verantwortung, sowohl unser individuelles Fehlverhalten als auch die gesellschaftliche Schieflage zu korrigieren.

Noah Sows Buch deckt viele Facetten des deutschen Rassismus‘ ab. Es richtet sich vor allem an weiße Deutsche, öffnet den Blick für rassistische Vorurteile, erklärt Begriffe, geht auf die Geschichte des deutschen Rassismus‘ ein, und veranschaulicht an zahlreichen Beispielen, wie die Idee unterschiedlicher „Rassen“ immer noch unsere Gegenwart prägt und vergiftet. Sow verbindet dabei Sachinformationen mit trockenem Humor und Sarkasmus.

Besonders eindrücklich fand ich die Abschnitte, in denen sie hiesige Verhältnisse (z.B. Institutionen oder den Kulturbetrieb) mit den sprachlichen Mitteln rassistischer Exotisierung und Abwertung beschreibt. An manchen Stellen hat der bitter triefende Sarkasmus mich eher irritiert (meist, weil mich der Wechsel zwischen Sachinformationen und Sarkasmus überrumpelte).

Sow geht souverän mit Sprache um und lenkt ihr Publikum zielsicher durch die vielen Aspekte des rassistischen Deutschland, die die weiße Mehrheit immer noch auszublenden versucht. Zahlreiche Beispiele aus Geschichte und Gegenwart veranschaulichen die Wirkungen des rassistischen Systems, in dem wir stecken. Das Buch ist gut recherchiert; als jemand, der häufig Sach- und Fachtexte nutzt, haben mich die Quellen und Ergänzungen in Fußnoten gefreut. Seltsam finde ich, dass es sowohl arabisch als auch römisch gezählte Fußnoten gibt. Vielleicht rührt das aus den Überarbeitungen des Buchs in den zehn Jahren seines Bestehens her; der Sache tut es keinen Abbruch.

„Deutschland Schwarz Weiß“ nimmt für unser Land eine ähnliche Position ein wie Reni Eddo-Lodges „Why I‘m no longer talking to white people about race“ (2017) für Großbritannien. Meines Erachtens würde es unser Land weiterbringen, wenn wir mehr über den hiesigen Rassismus reden würden, und Sows Buch ist eine großartige Grundlage dafür.

Date: 2020-09-12 09:41 am (UTC)
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From: [personal profile] matrixmann
Thematisieren könnte und sollte man das Thema wohl - nur, es sollte dann nicht in solche Bahnen abgleiten wie z. B. in den USA; dass es in eine allumfassende Erklärung für jegliches Übel ausartet, stärker als Einkommensunterschiede, stärker als soziale Herkunft, und stärker als generelle Günstlingswirtschaft in höheren Positionen.
Weil - es sind letztendlich auch nicht alle Leute mit heller Haut in einer extra-privilegierten Position. Das erzähle z. B. mal dem Hartzer, der jeden Euro vermeintliches und tatsächliches Einkommen vorgerechnet bekommt... Sehr privilegiert kommt der sich in seiner Situation nämlich nicht vor.

Date: 2020-09-12 05:27 pm (UTC)
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From: [personal profile] matrixmann
Ähm, gerade der Intersektionalismus bläht alles mögliche künstlich auf - vornehmlich mit Emotionen - und lenkt daher von realer Sachlage als auch realistischen und machbaren Lösungen ab. (Betonung liegt auf "machbaren Lösungen".)

Jedenfalls ist es das, was ich von der Seite am stärksten wahrnehme - viel Krach, viel Gezeter, viel "so müsst ihr alle die Welt sehen, damit sie erst besser wird!".
Bisher hat das aber nur zu mehr Stunk geführt als zu wirklichen Verbesserungen; ständig ist inzwischen irgendeine Bevölkerungsgruppe sauer auf eine andere und will ihr am liebsten an die Gurgel; geschlossen, ohne qualitativ zwischen den Menschen zu unterschieden (vor 10-15 Jahren war das noch nicht in so einer Regelmäßigkeit der Fall) - und das liegt allein schon am Grundkonzept.
Wenn erst etwas besser wird, wenn alle zu einem bestimmten Glauben konvertieren, das ist typischer Messiasglaube wie aus bekannten Religionen. Und wie lang warten die schon auf ihre Erlösung von irgendwo außerhalb ihres eigenen Kreises?
Schon sehr, sehr lange...

Außerdem, wenn A abhängig ist von B, dann kann ich es bis auf einen unbestimmten Zeitpunkt in der Zukunft verschieben, A zu tun.
Wenn man sich das gekonnt zurechtbastelt, muss man sogar niemals jemals etwas tun - weil z. B. etwa B sehr unwahrscheinlich ist, jemals einzutreten.

Ich werde zwar darüber nachdenken, was du im letzten Abschnitt geschrieben hast - ich verbleibe trotzdem zunächst erst einmal mit der Position "Intersektionalismus hilft nicht dabei, Rassismus zu bekämpfen - eher gießt es noch Öl ins Feuer".
Muss so stehenbleiben können, ja?


PS: Als Unterschichtenkind, was bis heute zu viel Grips hatte, um ein Prolet zu werden, kann ich aus meiner Position heraus einfach nicht behaupten "eine dunkle Hautfarbe ist das Schlimmste, was mir im Leben passieren kann". Ist eine gesellschaftliche Baustelle von vielen, unbestritten, aber beileibe nicht die Einzige. Höchstens kann ich noch sagen "wenn dir beides zuteil wird, ja, dann bist du richtig am Arsch...".
Warum? Weil ich auch nicht gerade auf der Sonnenseite des Lebens 'rausgekommen bin. Und das sogar in vielerlei Hinsicht - mehr als nur schon ewig unter der deutschen Armutsgrenze positioniert zu sein.
Edited Date: 2020-09-12 06:07 pm (UTC)

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