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Jonas ([personal profile] asri) wrote2020-03-18 10:36 am
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Eva Müller: Sterben ist echt das Letzte!

„Sterben ist echt das Letzte“ ist Eva Müllers erster Comic in Buchlänge, und gleichzeitig die Abschlussarbeit ihres zweiten Studiums (Illustration). Das Buch versammelt vier Geschichten über den Tod und das Sterben, die eingebettet sind in einen mehrteiligen autobiographischen Bericht über Müllers Beschäftigung mit dem Tod, die schon in der Kindheit beginnt und bis zur Gegenwart der Erzählerin andauert. Leider wird diese Struktur durch die Formulierung „acht sehr persönliche Geschichten“ auf dem Buchrücken eher verunklart und auch durch die Gestaltung im Buch nicht deutlich hervorgehoben. Der erste Teil der Autobiographie wird als Intro betitelt, die übrigen autobiographischen Teile folgen jeweils, durch eine leere Seite abgesetzt, den vier nummerierten Geschichten. Da alle Geschichten in der ersten Person erzählt werden und die Protagonistinnen überwiegend Ähnlichkeiten mit der Ich-Erzählerin der Autobiographie aufweisen, verschwimmen die Grenzen. Falls das Absicht ist, frage ich mich allerdings, warum es nicht konsequenter eingesetzt ist. In Geschichte Nr. 3, „Bruder & Schwester“, tritt uns der einzige vermutlich männliche Ich-Erzähler entgegen. (Die Schwester bezieht sich auf S. 106 mit männlichen Pronomen auf ihn, auf S. 107 dann aber mit Schrägstrichen „sie/er“. Aufgeklärt wird die Diskrepanz nicht.) Die Schwester, von der erzählt wird, hat glatte dunkle Haare und trägt eine Brille, wodurch sie äußerlich den Ich-Erzählerinnen der anderen Geschichten ähnlich wird. Vielleicht ist das Verwirrspiel beabsichtigt; einen Zweck habe ich jedoch nicht erkennen können.

Schädel und Comic

Die vier Geschichten und die Autobiographie werden eher ruhig und sachlich erzählt. Ich fand sie interessant zu lesen. Sie alle pendeln zwischen Distanz und Nähe, Leben und Sterben. Der Tod bricht teils einfach so in das Leben ein, teils wird er gesucht und entzieht sich trotz seiner Allgegenwart.

Der Zeichenstil traf allerdings weniger meinen Geschmack. Vielleicht gerade weil manche Elemente sehr detailreich und aufmerksam wiedergegeben sind, wirken im Vergleich manche Gesichter und Hände krude. Die Seiten sind weitgehend in rechtwinklige Panels unterteilt, aber jeweils unterschiedlich gestaltet, so dass sie abwechslungsreich zu lesen sind. Die einzelnen Zeichnungen bestechen durch einen Reichtum an unterschiedlichen Flächenstrukturen: Tapeten, Kleidung, Himmel, Treppenhäuser werden mit der gleichen Aufmerksamkeit bedacht wie die Elemente, die im Erzählfokus stehen. Beispielsweise wird die Fingerhutsammlung einer alten Frau gezeigt, wobei die Maserung des Holzregals mit dickeren Linien als die Konturen der Fingerhüte gezeichnet sind. Dadurch wirken die Bilder leicht überladen, beim Lesen bzw. Betrachten muss man die Gewichtung der Bildelemente selbst erstellen.

Das Buch ist – abgesehen vom Cover und Backcover – in Schwarzweiß gedruckt. Interessanterweise sind einige Seiten des Comics auf der Homepage der Autorin farbig gezeigt. Das Schwarzweiß ist mit roten und blauen Bereichen durchsetzt. In einem Interview mit Johanna Klug (Fink.Hamburg, Januar 2018) sagt sie: „Ich zeichne alles von Hand und färbe es dann mit Photoshop ein.“ Vielleicht war es eine Kostenfrage, die zu der Entscheidung zum SW-Druck führte. Bedauerlich ist sie jedenfalls, denn die farbigen Bilder sind lebendiger und durch die Farbkontraste auch leichter zu erfassen als das reine Schwarzweiß.

Als ein persönliches Highlight möchte ich noch die Totentanz-Motive im Innenumschlag erwähnen. Spätmittelalterliche Totentänze zeigen den Tod, wie er Menschen aller Gesellschaftsschichten zum Tanz auffordert. Eva Müller hat moderne Menschen als (widerstrebende) Tanzpartner eingesetzt. Bildlich und thematisch finde ich dieses Detail der Buchgestaltung großartig.

Auch, wenn mir „Sterben ist echt das Letzte“ nicht rundum bestens gefallen hat, kann ich den Comic trotzdem als lesenswerte, lebensnahe Auseinandersetzung mit dem Sterben empfehlen.


Eva Müller: Sterben ist echt das Letzte! Weimar: Schwarzer Turm, 2018.

160 Seiten, Klappenbroschur, 17 x 24 cm. Schwarzweiß.

ISBN: 978-3-934167-86-5
12,- € (z.B. direkt im Verlagsshop)